Gibson stellen „digitale Gitarre“ vor

Gibson HD 6X Pro "The first guitar of the 21st century" – Hört, hört…
Man möge mir, obwohl grosser Fan und seit langer Zeit treuer Kunde des US-Gitarrenbauers Gibson, eine gewisse Skepsis beim Begriff "digitale Gitarre" verzeihen. Erstens sind sozusagen alle Gitarren "digital" – also "mit den Fingern" zu spielen, zweitens sind MIDI-Gitarren schon seit den späten Achzigern im Umlauf, fristen aber eher ein Nischendasein – wirklich durchschlagend und revolutionär eingesetzt wurden sie meines Erachtens nach praktisch nur auf Judas Priest’s spätachziger Produktion Turbo – ganz am Rande bemerkt, ein Album, das auch nach zwanzig Jahren noch ziemlich futuristisch klingt.
Drittens lässt sich jener "Raumklang" von beherzten -und betuchten- Instrumentalisten auch durch grossflächiges Verteilen von Marshall-Amps in durchaus beeindruckender Weise erreichen, den die SZ im Interview mit dem Gibson-Jefe als hauptsächliches -oder eher am einfachsten in Marketingsprache übersetzbares- Feature "digitaler GItarren" bemüht – wer etwa Motörhead schon einmal live erleben durfte, wird sich kaum ein räumlicheres Erfahren von Gitarrensound vorstellen oder wünschen wollen. Wie bitte? JA, ZIEMLICH LAUT!

Und viertens: Das haben wir schon immer so gemacht, das geht nicht, da könnte ja jeder kommen – will sagen, wer schon etwas länger Gitarre spielt, hat bereits Dutzende von "revolutionären Neuerungen" überlebt und wird sich erfahrungsgemäss mit zunehmender Beherrschung seines Instrumentes an zunehmend minimalen Setups erfreuen. Am Fingersatz hat sich nämlich nach wie vor nichts geändert, ausser dass der eigene vielleicht etwas routinierter geworden ist.
Dennoch: Gibson sind nicht irgendjemand und dürften eher dem sehr konservativen Lager unter den Gitarrenbauern zuzurechnen sein, schliesslich war und ist deren Parademodell Les Paul seit Jahrzehnten unverändert konstant in den Händen der verbliebenen Guitar Heros zu sehen – mit Ausnahme ausgerechnet des von der SZ im Titel bemühten Jimi Hendrix. Dessen "Markenzeichen" war das Konkurrenzmodell, eine weisse Fender Stratocaster. Aber wer schon einmal ein solches Originalmiststück aus den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts spielen durfte, der wird auch wissen, warum Heiland Hendrix gelegentlich und urplötzlich jeden Sanftmut verlor und sein Instrument zertrümmerte, verbrannte, in den Verstärker schmiss oder darauf herumtrampelte….
Wenn der Mann von Gibson, respektive der Interviewer der SZ, dessen Ahnung vom Gitarrenspiel ich aufgrund des angeführten Lapsus als fraglich einstufe, also eher befremdliche Ideen, wie die Zuordnung von unterschiedlichen räumlichen Positionen für die einzelnen Saiten bemühen, dann halte ich dies für den marketingtypischen Kunstgriff, einen "Mehrwert" herbeizuquasseln, den auch der notorisch für dämlich gehaltene Kunde versteht.
Tatsächlich überfällig und als durchaus nützlich einzuschätzen sind eher unauffällige Neuerungen, wie die mögliche drahtlose Klangübertragung per Ethernet. Dass man MIDI beipielsweise per virtuellem Gerät schnurstracks ins Ethernet und wieder heraus gaten kann –man aseqnet, wer Linux hat- und was eine Kombination von Ethernet-Switch, MIDI-Router und Mischpult zu leisten vermöchte – Traum-Modus: alles in einem, keine tausend verschiedenen Stecker, sondern gar keine… – lässt sich nämlich weit weniger "griffig" erklären, bietet allerdings Potential für eine echte Revolution, ganz ohne bekiffte Ideen von Saiten, die im Raum stehen.

Über Tom

"Die meisten 'normalen Leute' in meinem Bekanntenkreis würden mich wohl als 'Computernerd' bezeichnen. Die meisten Computernerds -einschliesslich meiner selbst- wären darüber anderer Meinung."
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