Geschichte(n) aus dem /usr-Land

Letzthin fragte mich jemand -in der eindeutigen Absicht, auch mal etwas besser zu wissen, als ich- ob ich denn wüsste, was „/usr“ eigentlich bedeuten würde. Für die Uneingeweihten und Microslaves: „/“ bezeichnet in der Verzeichnis- oder „Ordner“-Struktur eines Unix- oder Linux-Rechners die Wurzel aller Pfade (also das, was über C:\ liegt und unter Windows als „Arbeitsplatz“ oder „My Computer“ bezeichnet wird). Im Verzeichnis  /usr finden sich sämtliche Programmdateien, die nicht unmittelbar zum System gehören, etwa so wie „C:\Programs“ unter WIndoze (Systemprogramme liegen dort -für 32bitter- unter \Windows\System32, aber das bekommt der Wald- und Wiesen-Anwender nicht zu sehen).

Nun stammen die meisten traditionellen Bezeichner und Befehle eines Unixsystems aus der Zeit unverwüstlicher Tastaturen mit gewaltigem Tastenhub und lautem mechanischem Tastaturklick, wie etwa die gut zwanzig Jahre HP A28408, auf der ich diesen Text tippe, nachdem ich inzwischen sämtliches neumodisches Gerümpel durch Kaffee oder einmaliges scharfes Ansehen in Plastikschrott verwandelt habe. Das HP-Keyboard, das einst zu einer A9000-Workstation gehörte und damit in die Kategorie „native Unixhardware“ fällt, hat robuste Mikroschalter unter den Tasten und genug Raum dazwischen um mit allerhand Kaffe, Kekskrümeln und Zigarettenasche fertig zu werden, aber es tippt sich halt etwas anstrengend. Genau das ist der Grund, weshalb sich alles, was man unter Unix etwas häufiger tippen muss, mit maximal vier Buchstaben schreibt und -zumindest für Unixheads- leicht verständliche Bezeichnungen trägt: „cp“ (sprich: „copy“), „ls“ (sprich: „list“), „cat“ (concatenate), „/sys“ (system), „/bin“ (bin)  oder „/usr“ (sprich: „user“).

Aha, „user“. Was soll /usr sonst schon gross heissen? Beziehungsweise, wer will das schon wissen und heisst das überhaupt irgendetwas? Schliesslich ist das einfach nur ein wohlbekannter Knoten im Dateisystem und könnte auch „/joe“, „/foo“ oder „/hans“ heissen. Jeder wüsste, was gemeint ist.  Ich wurde sogleich darüber aufgeklärt, dass „usr“ für „Unix System Resource“ steht. Ok, das ist allerdings eine recht genaue Beschreibung dessen, was unter /usr herumliegt. Mit Usern hat /usr tatsächlich herzlich wenig zu tun. Deren Eigentum liegt unter /home und sämtliche systemweiten Daten, die durch deren Wirken geschaffen oder geändert werden (also lese- und schreibbar und von variierendem Volumen sind) liegen logischerweise unter /var. Fragen nach dessen Bedeutung erübrigen sich. /usr dagegen ist im Normalfall read-only und user haben dort eigentlich nichts weiter verloren. Klappe zu, Affe tot, wieder was dazugelernt.

Kaum eine Woche später ereilt mich die Kunde, es sei ein holy war unter Verfechtern verschiedener Auslegungen der Lesart von /usr ausgebrochen. Abbreviationisten („Unix System Resource“) stritten erbittert gegen Phonetiker („user“). Da ich mich schon bei der ursprünglichen Frage erinnerte, dass auf meiner guten alten Indigo, die unter IRIX läuft, die Benutzerverzeichnisse unter /usr/home eingehängt werden und mich schon lange fragte, warum, beziehungsweise einen gewissen inneren Vorbehalt gegen die „Unix System Resource“ (verdammt, dieses lange Wort!!) hegte, bin ich der Sache dann doch einmal auf den Grund gegangen.

In Binh Nguyens oft unterschätztem Standardwerk „Linux Filesystem Hierarchy“ heisst es unter  1.7. /usr:

/usr usually contains by far the largest share of data on a system. Hence, this is one of the most important directories in the system as it contains all the user binaries, their documentation, libraries, header files, etc…. X and its supporting libraries can be found here. User programs like telnet, ftp, etc…. are also placed here. In the original Unix implementations, /usr was where the home directories of the users were placed (that is to say, /usr/someone was then the directory now known as /home/someone). In current Unices, /usr is where user-land programs and data (as opposed to ’system land‘ programs and data) are. The name hasn’t changed, but it’s meaning has narrowed and lengthened from „everything user related“ to „user usable programs and data“. As such, some people may now refer to this directory as meaning ‚User System Resources‘ and not ‚user‘ as was originally intended.

Also, defintiv: Das hiess wirklich einmal „user“. Aus damals schon eher diffusen Gründen. Mittlerweile allerdings sollte man sich eher mit „User System Ressource“ anfreunden. Es sei denn man ist wirklich so Old-Skool wie IRIX 4.21 – oder tippt auf einem HP A28408…

Über Tom

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