E-Mail, Webmail und Konsorten

Als Sysadmin eines kleinen -aber feinen- Mailservers bekommt man ja so einiges mit, was die Erwartungen der User und deren Verständnis der inzwischen zum Alltag gehörenden e-Mail (genauer: des SMTP-Protokolls nach RFC 821 – aber das nur der Vollständigkeit halber) betrifft.

Der erste Punkt wird keinem Postmaster neu sein, aber die Hartnäckigkeit, mit der die breite Masse auf das vollkommene Missverständnis beharrt, e-Mail wäre ein Teil des World Wide Web und demzufolge „etwas, das mit dem Browser aufgeht“, dürfte schon manchen sendungsbewussten Enthusiasten unter den SysAdmins in einen zynischen Menschenfeind verwandelt haben. Die Mehrzahl der User allerdings dürfte an der Wahrheit über die e-Mail schwer zu knabbern haben:

  1. e -Mail hat im Web soviel verloren, wie ein Stahlbohrer in der Kaffeemaschine
  2. HTML-eMails sind ein mittleres unbedingtes Verbrechen gegen die Menschheit*
  3. „Webmail“ ist eine (miserable) Hilfskonstruktion und tatsächlich die unbequemste, umständlichste und gefährlichste Art, seine Nachrichten zu lesen – nach Ausdrucken und mit der Pferdekutsche schicken lassen
  4. Es gibt im Grunde keine praktikable Möglichkeit, seine ein- und ausgegangene Mail per Webmail zu archivieren. Auch die Archivierungsfunktion zB. bei GMail hat nichts mit wirklicher Datensicherung zu tun.

„Ja, aber…“ höre ich da schon auf meinem inneren Ohr die eifirgen Nutzer von Yahoo!, GMX und Konsorten protestieren und habe auch schon eine Antwort parat: seht euch doch mal in den erweiterten Optionen des Freemailers eurer Wahl um – praktisch jeder wird an nicht allzu unprominenter Stelle etwas in der Art von „POP3 Zugang“ oder „POP3 / IMAP“ stehen haben; und dort, gar nicht so weit hinter dem Horizont von Hans und Erna Normalnutzer verbirgt sich das wahre Wesen der elektrischen Post. Meist genügen zwei bis drei profane Zeilen, um es zu beschreiben:

POP3-Zugang: pop.blablablamail.com
IMAP: imap.blablablamail.com
SMTP mail.blablablamail.com

gelegentlich finden sich auch reichlich bebilderte Anleitungen für den einen oder anderen e-Mail-Client, meistens (ausgerechnet) Outlook Express, daneben, auf die ich hier nicht gesondert eingehen möchte. Eigentlich wäre es mein Traumziel, einigen wenigen unter den etwas aufgeweckteren „Normalanwendern“ das Verständnis zu vermiteln, jeden beliebigen e-Mail Client (kurz und besser: MUA für Mail User Agent) anhand der drei obengenannten Angaben konfigurieren zu können. Dazu müssten meine aufgeklärten Übermenschen der Zukunft allerdings in der Lage sein, sich die drei Begriffe POP3, IMAP und SMTP zu merken. Das heisst, nicht einmal wirklich merken, sondern nur die Adresse, die hinter POP3 steht richtig in ein Feld mit der Aufschrift POP3 zu schreiben oder analog dazu, jene die hinter IMAP steht, in ein Feld mit der Aufschrift -raten wir mal- „IMAP“ zu kopieren und nach dieser geistigen Höchstleistung die Adresse des SMTP-Servers (das was hinter „SMTP“ steht) in ein Feld mit der Aufschrift „SMTP“ zu übertragen. Aber das ist natürlich reines Wuschdenken.

Was hat es jetzt also mit diesen drei ominösen Begriffen POP3, IMAP und SMTP auf sich? Wie vielleicht aufgefallen ist, habe ich SMTP bereits am Anfang, als das eigentliche Wesen der e-Mail genannt. Genau das ist es auch – ein Protokoll, das besagt, wie eine e-Mail von einem Server zum anderen geschickt werden muss, damit sie beim Empfänger so ankommt, wie der Absender sie verfasst hat. Damit haben wir als Anwender eigentlich nichts weiter zu tun, als die Mail abzuschicken. Und zwar, indem wir sie einem Server übergeben, der das SMT-Protokoll beherrscht und den Rest für uns übernimmt. Dieser Server heisst SMTP-Server, oder einfach „Mailserver“ (Urselschrecks mit schwerkriminell technischem Hintergrund sagen auch „MX“ für Mail Exchange dazu) und hat, wie jeder Server im Internet eine Adresse. Normalerweise etwas in der Art von smtp.meiers-feinste-mail.com oder smtp.mein_firmenname.de. Der SMTP-Server von Yahoo! zum Beispiel heisst smtp.yahoo.com, der von GMX.de heisst smtp.gmx.de. Das grundlegende System der Namensgebung  sollte also nicht schwer zu durchblicken sein.
Einen SMTP-Server benötigen wir nur, um Post abzuschicken. Analog dazu fragt jeder MUA, also jedes e-Mail-Programm a la Outlook oder Thunderbird, wenn es zum ersten Mal aufgerufen wird, nach der Adresse des „Ausgangs-“ oder SMTP-Servers.
Diese Frage kann man ihm recht einfach beantworten – wenn ich beispielsweise mein GMX-Konto hans.dampf123@gmx.de direkt per MUA nutzen möchte, trage ich smtp.gmx.de als Server für ausgehende Nachrichten ein. Aber was habe ich davon? Schliesslich geht die Mail doch genausogut im Internet-Explorer auf, wenn ich vorher bei Webmailer XY anlogge?

Weniger habe ich davon: Das Einloggen und durch ein paar Fensterchen mit tollen neuen Angeboten, ungefragten „Nachrichten“ klicken, Eingabe von Username und Passwort etc. ppp. ist im Grunde so nötig wie ein Kropf. Mit einem richtigen Mailprogramm, oder „MUA“, wie wir Profis sagen, hehehe, kann man sich den ganzen Terz schenken: Ich öffne einfach meinen MUA -ich benutze meist Linux oder Solaris und die MUAs Evolution und Claws, den eingebauten Mailer von Opera, am häufigsten aber -man höre und staune- mein Handy. Fast jedes Händy besitzt heutzutage einen recht guten MUA – und wenn ich auf das ganze Gebommels mit Webmail samt Bildchen und Werbung drumherum verzichte, braucht eine e-Mail kaum mehr ein paar Kilobytes – und kostet fast nichts.
Das also haben wir davon, aber weniger ist zwar mehr aber noch nicht alles: Wenn ich meine Mail auf einem MUA verfasse, brauche ich dazu nicht online zu sein. Das heisst, ich kann sie locker und in Ruhe „zuhause“ schreiben und der Mail-Client braucht nur solange online zu gehen, wie er braucht, um die fertige Mail an den SMTP-Server zu übergeben:  ein paar Zehntelsekunden. Auch äusserst nervige Unterbrechungen mit der Meldung „ihre Sitzung ist abgelaufen“ -normalerweise unter Totalverlust des vorher Geschriebenen- gehören damit der Vergangenheit an – wir brauchen ja nicht einzuloggen, sondern überlassen den ganzen „Protokollkram“ den Computern. Die machen das schon unter sich aus ; und zwar so schnell, wie Computer so etwas eben machen und nicht mit der Kriechgeschwindigkeit des Zwei-Finger-Such-Systems. Einen MUA zu benutzen heisst also, sich ständig wiederholende Vorgänge (Mailserver wählen, Log In, eingehende Nachrichten abfragen, neue Nachricht -über Webmail geht immer nur eine(!) Nachricht auf einmal- übergeben, Log Out) zu automatisieren. Also  genau das, wozu Computer angeblich da sind, oder? Natürlich muss man dazu erst einmal eindeutig konfigurieren, was man automatisiert haben möchte, was anfänglich schwer fallen kann. Allerdings muss man das Gewünschte nur ein einziges Mal festlegen, dann geht es von selbst. Bei Tag für Tag ständig wiederkehrenden Aufgaben, wie dieser kommen da sehr schnell einige tausend Arbeitsschritte zusammen, die und der Computer abnimmt – und das ohne den wirklich zeitaufwendigen Ärger gerechnet, der durch die notorischen Sicherheitsprobleme von typischen Internet-Ausdrucker-Anwendungen. wie Webmail entsteht.

Was aber hat’s mit IMAP und POP3 auf sich? Die Antwort ist noch wesentlich einfacher – das richtige SMTP haben wir nämlich schon agbehakt. IMAP und POP3 sind zwei verschiedene Methoden bzw Protokolle, um Mail vom Server abzuholen. Kurz gesagt ist IMAP das modernere und komfortablere Protokoll, wird aber nicht von allen Freemailern unterstützt, POP3 ist primitiver, tut’s aber auch. Ausführlicher ausgedrückt: IMAP ist ein synchronisiertes Protokoll, das heisst, wenn ich zuhause per IMAP auf mein Postfach, das nach wie vor auf dem Server meines Mail-Anbieters
liegt, zugreife und meine Mails lese, bleiben die auch dort. Wenn ich eine Nachricht auf dem Server lösche, ist sie weg. Falls ich etwas später unterwegs mit dem Mobiltelefon auf mein IMAP-Postfach zugreife, finde ich das genau so vor, wie ich es gerade eben hinterlassen habe. Die Nachrichten, die ich nicht gelöscht habe sind noch da, die gelöschten weg. Sollte ich zuhause zB eine Mail angefangen und auf dem Server als Entwurf gespeichert haben, finde ich die auch mit dem Händy
dort und kann sie weiterbearbeiten. Bleibt ja alles auf dem Server.

POP3 dagegen lädt die Nachrichten auf den Computer, oder den MUA herunter, an dem ich gerade sitze. Wenn ich von einem anderen Rechner aus
einlogge sind die gelesenen Mails weg. Basta. Oft sind beide Protokolle vorhanden – dazu die unterschiedlichen adressen POP.xymail.com und IMAP.xymail.com. Einzugeben sind normalerweise in einen MUA Benutzername und Passwort – genau wie im Browserfenster. Mit einem MUA muss ich das nur ein einziges Mal vornehmen.

Was dahinter steckt: Ganz einfach SMTP und POP/IMAP stecken dahinter – und zwar immer. Auch die allerschönsten „Webmail Lösungen“ sind unter der Oberfläche ganz gewöhnliche Mailserver und es stecken sogar reinrassige SMTP Programme unter der schönen, bunten und schneckenlahmen HTML-Oberfläche, die auch ohne den aufgesetzten Webserver funktionieren, weshalb man meistens auch direkt per IMAP und SMTP auf die Postfächer von Freemailern zugreifen kann. Wie ich zu Beginn meinte: Webmail ist nur draufgepappt und eigentlich vollkommen nutzlos. Im
Gegenteil: SMTP und Co mögen eine Schwäche haben, nämlich, dass sie keinen SPAM erkennen, aber für ihre eigentliche Aufgabe, Mail anzunehmen, blitzartig an den richtigen Empfänger zu routen und Postfächer vorzuhalten sind sie perfekt. Einen Postfix MTA oder Courier IMAP-SSL-Server als Webmailer zu missbrauchen, ist also etwa das Gleiche, wie ein Rennrad als Tretroller zu vermieten. Klar, man kann dann anstelle des Sattels einen Sonnenschirm mit Werbung dranschrauben und ein Windrädchen an den Lenker, ausserdem muss man nicht schalten, aber das ist schon irgendwie von hinten durch die Brust ins Auge…

Es gibt nämlich nichts, was man über Webmail tun kann, was per MUA nicht tausend mal schneller ginge und es gibt eine Menge Dinge, die über ein HTML-Frontend (sprich: Webmail) nur umständlich oder gar nicht gehen: nämlich Mails direkt aus einer Anwendung heraus zu senden; sei es als signiertes PDF aus dem Office, als Textmitteilung, wenn ein Problem in einem automatisierten Ablauf auftritt, oder als billige SMS-Alternative vom Handy aus und unendlich mehr.
Webmail spottet ausserdem jedem Verhältnis von Aufwand und Nutzen: Der Dialog zwischen SMTP und MUA sieht prinzipiell etwa so aus:

postfix SMTP (Debian) smtp.ax11.de ready
HELO p5435.t-dialup.net
OK
MAIL FROM Hans Dampf <hansdampf@ax11.de> -
OK
RCPT-TO: Hans Wurst <hans@wurstmail.net>
OK END DATA WITH <CR><LF>
DATA Subject: Lieber Hans...
OK.

Das schafft sogar mein altes Händy in weniger als 2 sec. Wenn ich hier den Datenwust wiedergeben wollte, den alleine die Titelseite irgendeines Freemailers verursacht, könnte ich mein Blog gleich auch zumachen und auf die Jungs mit den weissen Turnschuhen warten…
Die werden mich ohnehin eines Tages holen müssen, wenn mal wieder jemand anruft und mir erzählt es „ginge wieder keine eMail“ (gemeint ist mit 100% Sicherheit irgend ein Webmail-Frontend, wahrscheinlich nicht einmal unseres) – und mir dann die phantastischsten Geschichten von verschwundenen Mails (vergessen auf „Senden“ zu klicken und einem Werbe-Popup nachgesurft) Passwörtern, die aus heiterem Himmel nicht mehr gelten (Spyware installiert, welche die richtigen Passwörter abgefischt und den Cache gelöscht hat) Da hätte ich beinahe noch das leidige Thema Sicherheit vergessen:

90 Prozent aller Malware (Spyware, Trojaner, Viren) fällt per Micosoft Internet Explorer ein. Der Rest wird entweder mit bösartiger Software mitinstalliert oder beim -sorry: komplett hirnlosen- „Anklicken“ von eMail-Anhängen. Die gesamten 90% Risiko entfallen beim Abrufen der Mails per MUA. Durch einen einigermassen sicheren Client unter Windows: fast alles bis auf Outlook Express -das sollte man einfach nur im Intranet mit einem Exchange-Server verwenden, dafür ist es eigentlich auch gedacht. Beispiele  für gut benutzbare und leicht konfigurierbare Windows-MUAs sind Thunderbird, Operamail, Mozillamail und einige bessere. Ich gestehe, ich nutze eMail ausschliesslich von Unix, meistens aber vom Händy aus.
Linux/Solaris/xBSD: Wer einen fetten MUA mit ausgiebigen Kalender-, To-Do-List- und Adressbuchfunktionen und Anbindung an kommerzielle Groupwareserver braucht: Evolution. Der Rest wird zwischen spartanischen Textmodus-MUAs (Pine, Mail) und Klicki-Bunti-Tausendsassas (Thunderbird, KMail) schon irgendwo sein Heil finden.


* Eine antike und oft zitierte Inschrift aus dem Usenet lautet: „The right way to cope with people to use HTML in e-mails is to kill them, burn down their homes, kill their children and rape their pets. Anything else would be fanatism.

Über Tom

"Die meisten 'normalen Leute' in meinem Bekanntenkreis würden mich wohl als 'Computernerd' bezeichnen. Die meisten Computernerds -einschliesslich meiner selbst- wären darüber anderer Meinung."
Dieser Beitrag wurde unter netstat, software abgelegt und mit , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Da könnte ja jeder kommen und kommentieren!

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.